Friedensmacher, Multiplikatoren und Profiteure. Akteure des Westfälischen Friedenskongresses

Friedensmacher, Multiplikatoren und Profiteure. Akteure des Westfälischen Friedenskongresses

Organisatoren
Ulrich Niggemann, Institut für Europäische Kulturgeschichte, Universität Augsburg; Michael Rohrschneider, Zentrum für Historische Friedensforschung, Universität Bonn; Siegrid Westphal, Forschungszentrum Institut für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit, Universität Osnabrück
Ort
Osnabrück
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
12.10.2023 - 14.10.2023
Von
Torben Tschiedel, Historisches Seminar, Abteilung Geschichte der Frühen Neuzeit, Universität Osnabrück

Zum 375. Jubiläum des Westfälischen Friedens standen in einer akteurszentrierten Perspektive im Sinne der Neuen Diplomatiegeschichte die sogenannten Friedensmacher im Zentrum der Tagung. Damit verbunden war die Frage, welche Personen(-gruppen) am Zustandekommen des Westfälischen Friedens beteiligt waren, wer von diesem Prozess wie profitiert und wer auf welche Weise zur Informationsverbreitung beigetragen hat. So sollte der Blick über die Diplomaten hinaus auf deren vielgestaltiges Gefolge, auswärtige Künstler und Musiker oder auch lokale Akteure in den Kongressstädten geweitet werden. Das Ziel war es, auf diesem Weg Personen(-gruppen), sozialen Figurationen und Akteurskonstellationen nachzuspüren, die das Kongressgeschehen prägten, begleiteten oder rezipierten.

In Sektion I zog INDRAVATI FÉLICITÉ (Paris) Bilanz über die Methode der Akteurszentrierung und eröffnete neue Perspektiven für die Zukunft: Erstens müsse der material turn auch durch die Neue Diplomatiegeschichte mitvollzogen werden. Dazu gehörten die Fragen nach dem sozialen Leben von Objekten, ihrer Bedeutung im diplomatischen Kontext (wie beispielsweise in Form von Geschenken) und ihrer Bedeutung als Quelle jenseits der Schriftlichkeit. Zweitens müsse das Postulat der Akteurszentrierung im Lichte der Einsicht, dass Schriftlichkeit keine universelle Voraussetzung für diplomatisches Handeln sei, überdacht werden. So könnten Schriftstücke als Machtobjekte in interkulturellen Beziehungen erkannt und die Grundlage für die Historisierung einer spezifisch europäischen diplomatischen Kultur gelegt werden. Drittens könnten Diplomaten nur dann angemessen erforscht werden, wenn sie Subjekte von Biografien würden, die über die diplomatische Tätigkeit hinausgingen. Zugleich könnten kollektive Biografien, wie über die Diplomaten auf dem Westfälischen Friedenskongress, Aufschluss über gemeinsam getragene Werte geben. Beides könne dazu beitragen, das Professionalisierungsparadigma zu überwinden.

Um Zugriff auf die Rezeption der Gesandten und ihrer Rolle für den Friedensprozess zu bekommen, wertete JONAS BECHTOLD (Bonn) zeitgenössische Zeitungen aus. Er kam zu dem Schluss, dass am Beginn des Kongresses noch die Fürsten, als die für den Abschluss des Friedens verantwortlichen Akteure, im Zentrum der Berichterstattung gestanden hätten. Erst allmählich seien Friedenserwartungen mit Gesandten, insbesondere denen des Kaisers, Frankreichs und Schwedens, verknüpft worden. Die Reichsstände seien in den Zeitungen dagegen nur als Gruppe wahrgenommen worden. Einzelne reichsständische Gesandte seien nicht in Erscheinung getreten. In der Endphase des Kongresses im Jahr 1648 seien dann in der Berichterstattung aus den Gesandten der Kronen und des Kaisers die entscheidenden Hoffnungsträger für den Friedensabschluss geworden.

MATTHIAS SCHNETTGER (Mainz) griff das Konzept des Diplomaten vom type ancien1 auf und entwickelte daraus für das Reich das Konzept des Diplomaten vom type empire. Dieses definiere sich unter anderem durch den Verzicht auf Dauergesandtschaften, einen wiederholten Rückgriff auf dieselben Personen und ein daraus resultierendes breites Erfahrungswissen der Akteure. Auf dem Westfälischen Friedenskongress hätten die reichstagsähnliche Beratungsform, die juristische Expertise der Gesandten sowie in vielen Fällen ihre Doppelrolle als Spitzenpolitiker an den Heimathöfen zusätzlich eine Rolle gespielt. Statt des höfisch geprägten adeligen Diplomaten, der sich als Typus in Europa bereits im 16. Jahrhundert durchgesetzt habe, sei der humanistisch gelehrte Diplomat im Reich bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts relevant geblieben.

SIEGRID WESTPHAL (Osnabrück) ging der Frage nach, wie es der sogenannten Dritten Partei, die maßgeblich für den erfolgreichen Abschluss des Friedens verantwortlich war, gelang, sich durchzusetzen, und warum ihre reichsständischen Gegner keinen organisierten Widerstand leisten konnten. Demnach sei die katholische Fundamentalopposition Ende 1647 zerbrochen, da sowohl Kurbayern als auch Kurmainz einen Friedenskurs eingeschlagen hätten. Während die Gruppe der katholischen Hardliner zunehmend isoliert gewesen sei, hätte sich mit der Dritten Partei eine Gruppe von Kurfürsten und Fürsten zusammengefunden, die durch ihren unbedingten Friedenswillen den Kaiser massiv unter Druck setzen konnte. Letztendlich hätten die Gegner der Dritten Partei nicht auf den Friedenswillen der Kronen vertraut und seien daher in der Endphase des Kongresses von der Dynamik der Verhandlungen überrollt worden. Damit wurde deutlich, wie wichtig der Verhandlungsmodus auf dem Friedenskongress war.

ALEXANDER GERBER (Bonn) verdeutlichte dies anhand der Direktorialgesandten der Reichsräte, denen eine Schlüsselrolle im Konfliktmanagement bei Verfahrens- und Zeremonialstreitigkeiten zukam. Sie hätten einerseits einen Ausgleich zwischen ihren eigenen Interessen und der angemessenen Repräsentation ihrer Kurie finden müssen. Andererseits sei ihre Fähigkeit, Konflikte innerhalb der Reichsräte einzuhegen, zentral gewesen, um die Handlungsfähigkeit des jeweiligen Gremiums zu bewahren. Sie hätten sich daher um Konsensbildung bemüht. Verlierer einer Abstimmung im Sinne eines modernen Mehrheitsprinzips durfte es nicht geben. Einzelfallentscheidungen wären so zum zentralen Mittel der Konfliktvermeidung geworden, was die Direktorien zu den Friedensmachern innerhalb der Kurien gemacht habe.

Im Sektionskommentar bemerkte Guido Braun (Mulhouse), dass die Friedensmacher der ersten Reihe, nämlich die Fürsten und deren Prinzipalgesandten, in der Sektion unterrepräsentiert geblieben seien. Allgemein müsse die Typologie der Gesandten kritisch hinterfragt und mit zeitgenössischen Quellen verglichen werden. Weiterhin biete ein flexibler Diplomatiebegriff das Potenzial, das Spektrum der am Friedensprozess beteiligten Akteure, das auch Friedensstörer einschließe, aufzufächern und das Friedensstiften nicht allein als Problem der Politik zu verstehen. Möglicherweise sei es lohnend, die Neue Diplomatiegeschichte mit einer neuen Internationalen Geschichte zu verbinden und damit eine Alternative zur Geschichte der Internationalen Beziehungen zu eröffnen. Das Reich stelle dabei einen besonderen Raum für diplomatisches Handeln dar. Alle Gesandten agierten in einem medialen Kontext, den sie selbst beeinflusst hätten und durch den sie beeinflusst worden seien. Es bleibe die Frage, wer den Westfälischen Frieden gemacht habe. In Abgrenzung zum Begriff der Friedensmacher lasse sich auch über die Frage nach den Kriegsmachern nachdenken.

Im Abendvortrag reflektierte CHRISTOPH KAMPMANN (Marburg) die historischen und gegenwärtigen Deutungen des Westfälischen Friedens und ordnete das Ereignis in den Kontext der unterschiedlichen Konflikte ein, die im Jahr 1648 in Europa existierten. Letztendlich habe der Vertrag in einer gesamteuropäischen Krise der Staatlichkeit eine Sicherheitsordnung für Mitteleuropa entworfen. Kampmann stellte die These auf, dass das Reich in der Frühen Neuzeit bis 1648 eine starke Krisenzone in Europa gewesen sei. Der Westfälische Frieden habe das Reich dann bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in eine Zone der Stabilität verwandelt. Dieser grundlegende Wandel von der Krisenzone zur Stabilitätszone sei eine enorme Leistung des Vertragswerkes gewesen, die auch als Herausforderung für die Konflikte der Gegenwart aktuell bleibe.

Auf der Suche nach den Friedensmachern der zweiten und dritten Reihe rückte in Sektion II das Kanzleipersonal der Gesandtschaften in den Fokus. MARIA-ELISABETH BRUNERT (Bonn) verstand darunter alle Personen der Gesandtschaft, die Schriftgut bearbeiteten oder transportierten. Eine formalisierte Ausbildung habe es neben vorausgesetzten rechtlichen und sprachlichen Kenntnissen nicht gegeben. Oftmals sei Wissen im Berufsalltag erlernt und auch innerhalb von Familien weitergegeben worden. Genauere Untersuchungen zum Gesandtschaftspersonal und dessen Lebenswegen und Familienstrukturen seien aber noch ein Desiderat der Forschung.

Dasselbe trifft auch auf die Dienerschaft der Gesandten zu, deren Bedeutung im Kongressalltag sich SEBASTIAN KÜHN (Berlin) widmete. Demnach habe das Geschehen auf dem Kongress fast ausschließlich in den Haushalten der Gesandten stattgefunden, sodass Dienstboten nahezu immer präsent gewesen seien. Die sozialen und strukturellen Dynamiken des Gesandtenhaushaltes müssten daher für eine Kulturgeschichte des Friedenskongresses unbedingt beachtet werden. Dies betreffe beispielsweise das gemeinsame Essen der Gesandten und die Verköstigung der Dienerschaft des Verhandlungspartners als wichtiges Element der Verhandlungen und der Repräsentation. Auch soziale Beziehungen in und zwischen Gesandtschaften sowie zur Stadtgesellschaft seien zu berücksichtigen. Letztendlich sollte die Dienerschaft neben den Gesandten als Gruppe mit zahlreichen Beziehungen wahrgenommen werden, die über instrumentelle Handlungen hinausgingen.

Mit der sozialen Figuration griff ALBERT SCHIRRMEISTER (Paris) ein Konzept von Norbert Elias auf und wandte es auf die französische Gesandtschaft an. Deren Korrespondenzen seien demzufolge nicht nur als Berichte über das Handeln der Gesandten, sondern als eigene Handlungen zu verstehen. Damit stellte sie den Aushandlungsort der sozialen Beziehungen zwischen den Gesandten vor Ort, ihren Dienstherren und Patronen am Hof sowie ihren eigenen Netzwerken dar. So sei es beispielsweise Abel Servien gelungen, sich gegen seinen kompetenteren Kollegen, den Comte d´Avaux, durchzusetzen, weil er ein Vertrauter Kardinal Mazarins war.

Im Sektionskommentar wies Ralf-Peter Fuchs (Essen) darauf hin, dass die Forschung ihren Blick schon länger auf die Akteure der zweiten und dritten Reihe gerichtet habe. Dies werfe nun besonders die Frage nach den Praktiken des Friedensschließens auf. Zusätzlich müsse die Chance einer neuen Sozialgeschichte des Kongresses erörtert werden, in der einerseits der allgegenwärtige Aspekt der Ehre eine Rolle spiele. Andererseits müssten, auch wieder mit Blick auf die Praktiken, die Handlungsfelder an den beiden Kongressorten genauer beschrieben werden. Wichtig sei besonders die Frage, inwiefern das Personal der Gesandten durch die Teilnahme am Kongress Ehre erwerben konnte und welche Agency ihnen zukomme. Auch für die Gesandten selbst müsse untersucht werden, inwiefern Frieden zu machen innerhalb einer adligen Gewaltkultur ein Weg gewesen sei, abseits des Schlachtfeldes Ehre zu gewinnen. Daran anschließend kam in der Diskussion die Frage auf, was die nun im Friedenstiften geschulten Akteure an ihre Höfe mitgebracht hätten, nachdem der Kongress beendet war. Wie seien sie durch ihre Erfahrungen verändert worden und welchen Einfluss habe dies auf das weitere politische Handeln gehabt? Könnte möglicherweise von einer Schule des Kongresses gesprochen werden?

In Sektion III plädierte ULRICH NIGGEMANN (Augsburg) dafür, den Begriff der Öffentlichkeit im Sinne eines realen Kollektivakteurs zu verabschieden und „öffentlich“ stattdessen nur als Zustandsbeschreibung einer Information zu verwenden. Die Aufmerksamkeit der Forschung solle vielmehr auf die Praxis des Publizierens und die an der Publikation beteiligten Akteure gerichtet werden. Damit könnten Kommunikationsprozesse im Kontext des Westfälischen Friedenskongresses untersucht werden. Dies werfe Fragen nach Informationsweitergabe, kalkulierter Indiskretion oder auch der Öffentlichkeit als fiktionaler Appellationsinstanz auf. Ebenfalls sei der Akt des Publizierens grundsätzlich als Form symbolischer Kommunikation zu verstehen.

Auch die Musik sei ein wichtiges Medium für den Friedenskongress gewesen, wie STEFAN HANHEIDE (Osnabrück) verdeutlichte. Komponisten hätten Musik bewusst genutzt, um auf die Not und das Verderben des Krieges hinzuweisen. Friedensmusik habe meistens einen allgemeinen Anspruch gehabt und sei selten ausschließlich auf den Kongress bezogen gewesen. Der Anlass für musikalische Darbietungen seien vielfach Friedensandachten gewesen, die auch im Rahmen des Kongresses stattfanden und von den Gesandten besucht wurden. So könnten auch Komponisten als Friedensmacher gelten.

KAI BREMER (Berlin) untersuchte die Rezeption des Westfälischen Friedens(-kongresses) in der deutschen Literatur und Literaturgeschichte. Das Thema sei in Geschichten von Günther Grass oder Daniel Kehlmann verarbeitet worden. Zugleich habe die Literaturgeschichte den Dreißigjährigen Krieg als Revolutionszeit gedeutet und das Jahr 1648 zum Beginn einer durch den Krieg verspäteten modernen deutschen Literatur erklärt. Als genuin literarisches Werk aus dem unmittelbaren Kontext des Friedenskongresses stelle die Satire „Kunst der Löffelei“ von David Seladon eine Besonderheit dar. Der Text mache sich polemisch darüber lustig, dass Münster vermeintlich Schauplatz hemmungsloser sexueller Eskapaden lokaler Jungfrauen gewesen sei.

Neben Literatur und Musik waren auch Friedenspredigten ein wichtiges Medium auf dem Friedenskongress. HENNING P. JÜRGENS (Mainz) ging dabei vom Postulat Johannes Burkhardts aus, demzufolge die zeitgenössische Theologie im Dreißigjährigen Krieg versagt habe. Bei dieser Einschätzung müsse beachtet werden, dass es zahlreiche Friedenspredigten während des Krieges und zur Zeit der Verhandlungen vor Ort und im gesamten Reich gegeben habe. Außerhalb von konfessioneller Polemik sei darin auch ein allgemeiner Friedenswille zum Ausdruck gekommen. Neben Gott als ultimativem Friedensmacher seien aber auch die Herrscher und deren Gesandte angesprochen worden. Darüber hinaus adressierten die Prediger alle Gläubigen, die durch ihre Buße den Frieden befördern sollten und selbst als Friedensmacher gesehen werden könnten.

Im Sektionskommentar schärfte Regina Dauser (Augsburg) die Frage, was eigentlich durch die Multiplikatoren multipliziert worden sei und welche Intentionen dahintergesteckt hätten. Vordergründig hätten gebildete Eliten Werte, Emotionen und Gefühle verhandelt. Wichtig sei, dass Sichtbarkeit für zeitgenössische Akteure eng mit der Notwendigkeit der Publikation einhergehe. Eine Essentialisierung des Öffentlichkeitsbegriffs als Kollektivakteur sei dabei nicht zielführend. Möglicherweise könne sich dem Problem über die Untersuchung von Rezipientenkreisen genähert werden. Auch das Thema der Emotionalisierung und der im Krieg entstandenen Praktiken der Emotionalität, die im Kontext von Friedensverhandlungen auftraten, seien ein interessantes Forschungsfeld, das noch erschlossen werden müsse.

In Sektion IV untersuchte PETER H. WILSON (Oxford) die Chancen für Profit in Krieg und Frieden. Entgegen dem weit verbreiteten Vorwurf durch die Zeitgenossen hätten die Söldner des Dreißigjährigen Krieges kein Interesse daran gehabt, den Krieg zu verlängern. Zwar sei die Aussicht auf Gewinne groß gewesen, dem hätten aber ebenso große Risiken gegenübergestanden. Abgesehen von Verwundungen hätten lange Märsche, Witterung, Krankheiten, Hunger und andere Entbehrungen langfristige und dauerhafte Spuren hinterlassen. Unter den Offizieren habe Profit keinen negativen Einfluss auf den militärischen Erfolg gehabt. Allerdings bestand immer die Gefahr, dass Patronage in Bevorzugung umschlug und dann zu Konflikten führte.

Neben den Militärs waren auch die Verhandlungsstädte potenzielle Profiteure. GERD STEINWASCHER (Oldenburg) hob hervor, dass die Gesandten für Münster und Osnabrück ökonomisch durchaus interessant waren. Dies habe aber eher auf der Ebene einzelner Bewohner gegolten, da die Gesandten keine Abgaben an die städtischen Obrigkeiten zahlen mussten. Gerade die kleineren Gesandtschaften hätten mehr mit der Stadtbevölkerung interagiert, da es ihnen nicht möglich gewesen sei, einen eigenständigen Haushalt zu führen. Rechtlich habe die Neutralisierung zunächst Vorteile geboten, ein Aufstieg zur Reichsstadt gelang aber keiner der beiden Städte. Ihnen sei vornehmlich symbolisches Kapital geblieben, das beispielsweise in Form der Gesandtenportraits in den Friedenssälen verewigt wurde.

MICHAEL ROHRSCHNEIDER (Bonn) untersuchte die Prinzipalgesandten Frankreichs, Spaniens und Kurbrandenburgs in vergleichender Perspektive. Sie hätten sich weniger durch ihre diplomatischen Kenntnisse als vielmehr durch ihre (hoch-)adelige Abstammung qualifiziert, ihre Dienstherren angemessen zu repräsentieren. Dabei agierten sie nicht primär im Selbstverständnis eines Gesandten, sondern hätten als Adelige mitunter schnell versucht, einen anderen Posten zu erlangen, um längere Abwesenheiten vom Hof und die hohen Kosten auf dem Kongress zu vermeiden. Für die Prinzipalgesandten sei allgemein kein Prozess der Professionalisierung auszumachen, vielmehr sei es zu einer Aristokratisierung gekommen. Die Forschung müsse verstärkt die Rollenvielfalt der Prinzipalgesandten reflektieren und dabei auch Intersektionalität und Überlagerungen bedenken.

Die Abschlussdiskussion zeigte, dass in Zukunft auch die Verlierer des Westfälischen Friedens und das Leid in der Bevölkerung, das mit dem Friedensschluss nicht sofort ein Ende fand, in die Betrachtung einbezogen werden müssten. Weiterhin sollten die militärischen Akteure mehr beachtet werden, da sie für die Zeitgenossen sehr wichtig gewesen seien. Auch eine kritische Reflexion des Diplomatiebegriffs sei dringend notwendig. Wer konnte als Diplomat gelten und was sei unter der sogenannten zweiten und dritten Reihe zu verstehen? Müsse zudem von „Gesandtschaftswesen“ gesprochen werden oder sei der Diplomatiebegriff ausreichend, wenn er offen und flexibel genug definiert werde? Zudem wurde darauf hingewiesen, dass „Diplomat“ nicht als Personen-, sondern als Rollenbezeichnung verstanden werden sollte. Grundsätzlich sei es eine wichtige Leistung der Neuen Diplomatiegeschichte, Diplomatie abseits einer Herleitung der Gegenwart aus der Vergangenheit zu denken. So könne die Modernität von Gegenwart infrage gestellt werden. Gerade Status und Reputation spielten auch heute neben den vermeintlich rationalen Faktoren von Interessen und Ressourcen eine wichtige Rolle in den Außenbeziehungen. Auch die Perspektive einer akteurszentrierten Geschichtswissenschaft im Kontext der Diplomatie sei gründlich zu hinterfragen. In welcher Rolle eine Person auftrat, lasse sich anhand von Praktiken analysieren, sodass es einer praxeologischen Diplomatiegschichte bedürfe. Während sich Europa beim Jubiläum 1998 noch selbst gefeiert habe, stünden 2023 die Konflikte der Welt und die Notwendigkeit von Frieden im Mittelpunkt. So sei der Westfälische Frieden zu einer Metapher für die Hoffnung auf und die Möglichkeit von Frieden in einer aussichtslosen Situation geworden.

Die Tagung konnte eindrücklich zeigen, wie wichtig und erkenntnisfördernd der inhaltliche, konzeptionelle und methodische Austausch zwischen der Neuen Diplomatiegeschichte und der Historischen Friedensforschung ist. Hier existiert viel Potential für die Zukunft. Die Erforschung des Westfälische Friedens und derjenigen, die daran beteiligt waren, steht in erstaunlich vielen Fällen noch am Anfang und erfordert es auch, neben neuen methodischen Zugängen den reichen Quellenfundus, der unter anderem in den APW2 ediert ist und in noch viel größerem Umfang in zahlreichen Archiven liegt, auszuwerten. So ist es den Veranstalter:innen nicht nur gelungen, in Zeiten allgegenwärtigen Krieges einen erfolgreichen Friedensschluss zu feiern, sondern auch wichtige Impulse für die zukünftige Forschung zu geben und auf zentrale Desiderate hinzuweisen.

Konferenzübersicht:

Sektion I – Friedensmacher der ersten Reiche

Moderation: Hillard von Thiessen, Rostock

Indravati Félicité (Paris): Akteurszentrierung als Methode der „Neuen Diplomatiegeschichte“. Stand und Perspektiven der Forschung

Jonas Bechtold (Bonn): Friedensmacher und Hoffnungsträger? Die Kongressakteure in den politischen Erwartungen deutschsprachiger Zeitungen

Matthias Schnettger (Mainz): Diplomaten vom Typ „Empire“. Die reichsständischen Gesandten auf dem Westfälischen Friedenskongress

Siegrid Westphal (Osnabrück): Die Friedensmacher der „Dritten Partei“ und ihre Gegner

Alexander Gerber (Bonn): Die Rolle der Direktorialgesandten in den Verfahrens- und Zeremonialstreitigkeiten der Reichsräte

Guido Braun (Mulhouse): Sektionskommentar

Abendvortrag

Christoph Kampmann (Marburg): Frieden. Macht. Staat. Der Westfälische Frieden und die Zäsuren um 1648

Sektion II – Friedensmacher der zweiten und dritten Reihe

Moderation: Lothar Schilling, Augsburg

Maria-Elisabeth Brunert (Bonn): Das Kanzleipersonal der Gesandtschaften. Tätigkeiten, Karrieren und besondere Persönlichkeiten

Sebastian Kühn (Berlin): Küchenpolitik? Die Dienerschaft der Gesandten

Albert Schirrmeister (Paris): „l’honneur de vostre bienveillance et de vostre protection“ – Die soziale Figuration der französischen Gesandtschaft

Ralf-Peter Fuchs (Essen): Sektionskommentar

Sektion III – Multiplikatoren

Moderation: Christopher Voigt-Goy, Mainz

Ulrich Niggemann (Augsburg): Publizieren als pragmatisches und symbolisches Handeln

Stefan Hanheide (Osnabrück): Musik zum Westfälischen Frieden

Kai Bremer (Berlin): Westfälischer Friede und deutsche Verspätung: stereotype Nationalkonzepte in der germanistischen Beschäftigung mit einem historischen Ereignis

Henning P. Jürgens (Mainz): Predigten im Umfeld des Friedenskongresses

Regina Dauser (Augsburg): Sektionskommentar

Sektion IV: Profiteure

Moderation: Volker Arnke, Osnabrück

Peter H. Wilson (Oxford): Krieg und Frieden als Profit

Gerd Steinwascher (Oldenburg): Die Rolle der Städte Osnabrück und Münster auf dem Kongress

Michael Rohrschneider (Bonn): Von Rängen, Rollen und Ressourcen: Profitchancen und Karrierewege der Prinzipalgesandten der europäischen Mächte auf dem Westfälischen Friedenskongress

Abschlussdiskussion

Anmerkungen:
1 Hillard von Thiessen, Diplomatie vom type ancien. Überlegungen zu einem Idealtypus des frühneuzeitlichen Gesandtschaftswesens, in: ders./Christian Windler (Hrsg.), Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel, Köln/Weimar/Wien 2010, S. 471-503.
2 Das Editionsprojekt ist in großen Teilen auch digital zugänglich: https://apw.digitale-sammlungen.de/ (abgerufen am 15.11.2023).

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